Eine Experten-Revue in 89 Nummern by Hans Magnus Enzensberger
Autor:Hans Magnus Enzensberger [Enzensberger, Hans Magnus]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Essays
ISBN: 9783518761137
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2019-12-15T00:00:00+00:00
Allerdings hat sich im 20. Jahrhundert eine fatale Demokratisierung der Hinrichtung durchgesetzt. Bei immer mehr Massakern und Genoziden nahmen einzelne Laien und Gruppen den 187Beruf des Henkers selbst in die Hand, so daà dieser Experte seine Sonderstellung einbüÃte und entbehrlich wurde.
188LVIII
Schon mit drei Jahren halb verwaist, war der kleine Blaise von kränklicher Konstitution. Auf den wenigen Porträts, die es von ihm gibt, blickt den Bewunderern dieses Wunderkindes ein trauriger, hohlwangiger, einsamer Mann entgegen. Was war geschehen? Er stammte aus einer wohlhabenden normannischen Familie. Sein Vater war Steuerpächter. An der »guten Kinderstube« kann es nicht gelegen haben.
Pascal war ein hervorragender Spezialist. Aber wofür? Mathematiker, Theologe, Asket, Philosoph, klassischer Schriftsteller, Physiker, gläubiger Christ â alles Dinge, die schwer miteinander vereinbar sind.
Er nannte sich einen »Skeptiker aus Hartnäckigkeit«. Ist das eine Selbstbeschreibung oder eine Schmähung oder beides? (B 51; diese Sigle gibt die Nummer der Fragmente in der Edition von Brunschvicgs an.) Viele seiner Bemerkungen sind zweideutig. »Man muà einen geheimen Gedanken im Hintergrund haben und von ihm aus alles beurteilen, während man wie alle Welt spricht.« (B 336) Waren seine Hintergedanken fromm? Waren sie ketzerisch?
»Ich werde niemals über die gleiche Sache gleich urteilen«, schrieb er. »Ich vermag mein Werk nicht zu beurteilen, während ich an ihm arbeite; ich muà es machen wie die Maler und Abstand von ihm nehmen; aber nicht zu weit. Wie weit denn? Schätze!« (B 114)
»Mehrere Religionen, die sich widersprechen, fand ich, die infolgedessen alle falsch sein müssen. Jede verlangt, daà man sie aufgrund ihrer eigenen Autorität glaubt, jede bedroht die Ungläubigen, und deshalb glaube ich ihnen nicht.« (B 693) Manchmal verteidigte er die Juden gegen die Christen, manch189mal beschwerte er sich darüber, daà sie sich nicht zu Jesus bekehren.
Vor seinem dreiÃigsten Geburtstag verlor er nach der Mutter auch den Vater, und seine geliebte Schwester ging ins Kloster von Port-Royal. Er verfiel in eine schwere Depression. Seine Schmerzen und eine zunehmende Lähmung deutete er als Strafe Gottes und zog sich völlig aus der Gesellschaft zurück. Aber dann erlebte er persönliche Offenbarungen, die er geheimhielt. Eingenäht in dem Saum seines Mantels verbarg er ein Zeugnis, sein »Memorial«, das aber erst nach seinem Tod zum Vorschein kam.
Fortan versuchte er zu beweisen, daà das Christentum die einzige Ausnahme von der Regel ist, die er selbst aufgestellt hat. Allerdings nimmt die Definition dessen, was einen Beweis ausmacht, eine Bedeutung an, die schlecht zu einem groÃen Mathematiker paÃt. Er begnügt sich mit einem Stellenkommentar, der alles aus der Bibel ableitet: Sein vergeblicher Scharfsinn verheddert sich in einer petitio principii, in einem klassischen ZirkelschluÃ.
Auch die berühmte nach ihm benannte Wette bietet keinen Ausweg; sie beruht auf einer Anwendung der Wahrscheinlichkeits- und Entscheidungstheorie, die voller Löcher ist. Sie hört sich kaltblütig an und überzeugt niemanden, nicht einmal ihn selbst. So bleibt seine Apologie des Christentums ein opus incertum, ein unvollendetes Werk.
Den alten Adam ist dieser Experte der Kasteiung nie ganz losgeworden. Sich dem Papst zu beugen hat er nicht über sich gebracht. Die Jesuiten haÃte er aus ganzer Seele und wollte sie lieber der ewigen Verdammnis als der Feindesliebe anvertrauen.
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